Rebel

Aktivistin

Rebel ist eine anonyme Aktivistin in der Demokratiebewegung in Hongkong. Sie nimmt an sovielen Protesten teil wie möglich, auch nach dem Inkrafttreten des Nationalen Sicherheitsgesetzes. In ihrem Berufsleben arbeitet sie mit Menschen mit Behinderungen. Rebel sagt, sie wird kämpfen, bis sie stirbt.

Von Jonas Feldt und Alexander Nabert
„Bis zum Tod” - 28. September
„Bis zum Tod” - 28.09

Hey Rebel, ich hoffe, dir geht’s gut. Heute vor sechs Jahren begann die Regenschirmbewegung. Erinnerst du dich, was du an diesem Tag gemacht hast?

Welche Bedeutung hat die Regenschirmbewegung heute für dich?

Am 28. September versammeln sich Demonstranten in der Pacific Mall, um den Jahrestag der RegenschirmbewegungDie Regenschirm-Proteste fanden von September bis Mitte Dezember 2014 in Hongkong statt. Auslöser war ein Beschluss des chinesischen Volkskongresses, der vorsah, die Kandidaten für den Hongkonger Verwaltungs-Chefposten durch eine Vorauswahl selbst zu bestimmen. Die Bewegung bekam diesen Namen, weil sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit Regenschirmen vor Tränengas der Polizei schützten. zu feiern. Rebel geht auch dorthin.

Danke dir. Bist du immer noch in der Mall?

Die Polizei hat gerade die Presse, die Sanitäter und ein paar Leute – einige mit geistigen Behinderungen – eingekesselt, um sie zu durchsuchen und ihre Persos zu checken

Eigentlich besteht die Mall nur noch aus Polizei. Ich bin hier durch

Ein Fotograf, den sie durchsucht haben, ist ein Freund von mir der im Rollstuhl sitzt, zum Glück haben sie ihn danach wieder gehenlassen…

Komm sicher nach Hause

Macht euch keine Sorgen

Ich weiß schon, wie ich die umgehe

Um 18 Uhr hat es angefangen richtig schlimm zu regnen. Dadurch sind leider nicht so viele Leute aufgetaucht

Durch die Regenschirmbewegung wurde ich zur Hongkongerin. Da habe ich gemerkt, wie sehr ich Hongkong liebe und dass ich hier nicht weg will. Ich hab’s damals gesagt und ich sage es auch jetzt noch – es ist meine Heimat. Die Eindringlinge sollten gehen, nicht ich

Was meinst du, warum nicht so viele Leute da waren?

Ich denke, die Leute warten auf den 1. Oktober

„Wie Wasser” - 29. September
„Wie Wasser” - 29.09

Hey Rebel, guten Morgen. Heute würde ich gerne wissen: Was macht Hongkong für dich besonders?

„Revolution jetzt!“ - 30. September
„Revolution jetzt!“ - 30.09

Guten Morgen, liebe Rebel. Die Frage für heute ist: Was kannst du nicht mehr tun, das vor dem ersten Juli noch ging?

Bereite mich auf morgen vor. Zeige ich euch.

„Bedeutet Nichts” - 1. Oktober
„Bedeutet Nichts” - 01.10

Der erste Oktober ist der chinesischer NationalfeiertagAm 1. Oktober 1949 wurde die Volksrepublik China gegründet. Seither gilt dieses Datum als Nationalfeiertag.. In Hongkong findet zu dieser Zeit eine Demonstration für Demokratie und Freiheit statt. Rebel nimmt am Protest teil.

Verrückt! Ich bin immer noch nicht draußen und die Polizei hat schon zweimal die blaue Flagge gehisst

Die blaue Flagge ist eine Warnung, dass wir das Gesetz übertreten und dass sie eventuell Gewalt anwenden

Wo siehst du die Flagge?

Ich hab’s in den Nachrichten gesehen

Echt wenig Leute sind aufgetaucht?

Sie haben meinen Freund mit der geistigen Einschränkung festgenommen??

Oh nein

Während der Demonstration?

Kannst du etwas tun?

Ich bin gerade heimgekommen. Habe den Sozialarbeiter gefunden, der ihnen geholfen hat. Er war bei seiner Großtante

Jetzt hilft ein Anwalt

Warum wurde er festgenommen?

Absolut kein Grund

Bitte halt uns auf dem Laufenden

Er war auf der Straße mit seiner Großtante. Irgendwie hat die Polizei entschieden, dass sie Leute festnehmen wollen. Sie haben zwei Typen aufgegriffen und sie gefragt, was sie tun, sie haben gesagt, dass sie Bezirksräte sind. Dann hat die Polizei „Super!“ gesagt und sie hinter die Absperrkette genommen. Das habe ich nicht mehr gesehen aber ich schätze, dass sie einfach in der Nähe waren und zusammen mitgenommen wurden

Ich habe ein Video

Der junge Mann ist mein Freund und die ältere Dame seine Großtante

Sie wurden echt mit zwei Bezirksräten festgenommen. Die habe ich zu der Zeit nicht gekannt, deswegen habe ich auf sie nicht geachtet

„Pisst mich an” - 2. Oktober
„Pisst mich an” - 02.10

Hey Rebel, wie geht es dir heute? Gibt’s was Neues?

„Ich bin heute den ganzen Tag zuhause geblieben. Ich muss für morgen den Workshop zu den Kinderrechten vorbereiten, aber vor allem habe ich sowas wie eine Depression oder Traurigkeit nach der Demonstration gestern. Das passiert öfter mal, schätze ich, eigentlich passiert es fast jedes Mal, so im letzten Jahr. Es ist eben so, dass du jedes Mal nach Hause kommst und diese Erfolglosigkeit und Hilflosigkeit spürst, und dann kommt der Frust und der Ärger, du fragst dich, warum kann ich denn nicht mehr tun…

Wann ist das endlich vorbei? Und letzte Nacht, mein Freund wurde verhaftet, ich habe einfach nur hinter dem Absperrband zugeguckt und konnte überhaupt nichts tun. Ich kann auch nur um Hilfe rufen und mich um einen Sozialarbeiter kümmern oder um einen Anwalt oder um Leute, die wirklich Ressourcen haben, um zu helfen. Und das macht mich so wütend auf mich selbst, ich könnte gar nicht mehr tun, wofür ich dann immer diese Schuld habe, einfach nie genug getan zu haben.

Ich hasse mich selbst dafür, nicht den Mut zu haben mehr zu tun oder die Freunde zu haben, um mehr zu tun, es ist nur, ich bin so wütend auf mich selbst. Ich bin wütend auf meine Freunde, die nicht mit rausgekommen sind. Ich bin wütend auf all die Leute, die das Vollmond-Fest feiern, statt rauszukommen und sich der Regierung zu stellen. Ich bin wütend auf die Regierung. Ich bin von der Polizei angepisst. und es ist einfach wirklich nur kompliziert und schwierig.

Ich habe keine Ahnung, du spürst manchmal einfach, dass du nicht weitermachen kannst, du weißt es, du hast dieses verdammt schräge Gefühl, du weißt, was abgeht, während du eigentlich nicht weiß, wie es wäre, wie die Leute in China zu leben, in Xinjiang, aber dann siehst du es kommen und du fühlst, dass du das nicht in dir hast… Alles was du tun kannst, ist zu warten auf… Du weißt schon, dass die Anführer der Welt das alles bemerken. Dass die die CCP bekämpfen, nicht nur für uns Hongkonger, sondern für die ganze Welt. Sag, wann werden die es bemerken? Wann werden sie uns zuhören? Du weißt, dass die CCP böse ist und nicht nur die Demokratie und Freiheit in Hongkong untergraben wird. Ich hoffe nur, dass die Welt es schafft, sich vom Geld der CCP nicht mehr zum Schweigen bringen zu lassen, sondern jetzt das Richtige tut.”

Oh Rebel, liebe Rebel ???

„Hoffnung” - 4. Oktober
„Hoffnung” - 04.10

Hi Rebel, wie geht’s?

Am dritten Oktober haben die USA mitgeteilt, dass sie erzürnt über die Festnahmen bei den Demonstrationen am ersten Oktober sind.

Manchmal ist es schwierig zu sagen, was Hoffnung ist. Aber als ich heute das US-Statement zu den verhafteten Demonstranten vom 01. Oktober las, gab mir das Hoffnung. Hoffnung, dass wir international Verbündete haben, die auf unserer Seite sind. Und sie äußern ihre Unterstützung immer lauter. Ich hoffe sehr, dass wir die KP bald stürzen werden.”

Die Europäische Union und Deutschland blieben still. Sie wollten auch auf Nachfrage keinen Kommentar abgeben.

„Böse Frage” - 6. Oktober
„Böse Frage” - 06.10

Liebe Rebel, unsere Frage für dich ist heute: Was würdest du tun, wenn China für immer und unumkehrbar die Macht übernehmen würde?

Eure Frage ist so böse ??????

Hahaha, tut uns echt leid, dass wir fragen müssen

Ich glaube immer noch nicht, dass ich Hongkong jemals verlassen werde. Ganz egal was passiert. Aber ich weiß auch, dass dieses Versprechen an mich selbst momentan keinen Sinn macht. Wie schon gesagt: ich habe immer gedacht, dass ich nicht nach Hongkong gehöre. Ich dachte, dass ich eigentlich anderswo leben sollte. Ich habe Freunde aus der ganzen Welt und viele haben gesagt, dass ich nach Europa gehöre. Meine Latina-Freundinnen haben gesagt, dass ich nach Lateinamerika umziehen soll. Ich fand die Idee gut, weil ich mich definitiv mehr als Latina oder Europäerin denn als Hongkongerin gefühlt habe.
Aber während der Regenschirm-Bewegung habe ich verstanden, dass das nicht stimmt. Hongkong ist meine Heimat – schon mein ganzes Leben lang. Und meine Heimat wird gerade überfallen, bombardiert, angegriffen und ausgeraubt. Als Hongkongerin muss ich meine Heimat und mein Heimatland beschützen. Die Diebe sollten abhauen, nicht ich.
Wisst ihr, es geht ums Prinzip. Es ist nur ein Hirngespinst, aber trotzdem wichtig. Ich hoffe so sehr, dass ich nie gezwungen sein werde Hongkong zu verlassen. Falls zum Beispiel die Kommunistische Partei die Macht übernimmt und mich zwingt zu fliehen. Wisst ihr, was ich meine? Ich hasse diesen Gedanken! Ich würde lieber kämpfend sterben als wegzulaufen. Aber wer weiß schon, was passieren wird? Das Leben geht weiter. Wenn ich spüre, dass ich meine Integrität wahren oder Hongkong eher retten kann, indem ich die Stadt verlasse, werde ich vielleicht verschwinden müssen. Oh Gott, ich hasse diese Frage. Ich weigere mich zu gehen! Ich weigere mich, diese Frage zu beantworten!

„Wir werden feiern“ - 11. Oktober
„Wir werden feiern“ - 11.10

Hongkong ist frei. Was würdest du tun? Was wäre dein Traum?

„Wenn Hongkong frei ist, werden wir feiern. Wir werden uns am Legislativrat treffen, unsere Masken und alles andere ablegen, feiern und uns umarmen. Zusammen werden wir die Gesellschaft aufbauen, von der wir träumen. Ich träume von einer Gesellschaft, in der alle gleich sind. Das ist mein Ding: ich kämpfe für Menschenrechte, für Menschen mit Behinderungen. Ich muss wahrscheinlich noch mehr kämpfen, aber diesmal wäre es auf der Seite des Aufbaus. Ich würde jede Entscheidung mitbestimmen. Ich würde helfen, mit behinderten Menschen in Kontakt zu kommen, um über ihre Bedürfnisse zu sprechen. Alles für eine Welt, in der alle gleichberechtigt sind und Wahlmöglichkeiten haben. Eine Welt, in der alle die Rechte und Freiheit genießen können, mit denen sie geboren wurden.“

Die Chat-Unterhaltungen wurden auf Englisch geführt. Die Inhalte wurden von uns kuratiert und zur besseren Lesbarkeit teilweise gekürzt. Die Sinnzusammenhänge blieben erhalten.

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